Zwischen Windkanal und Trompetenpfifferling

 

Diejenigen, die Robert Schaberl näher kennen, wissen, daß er ein notorischer Verführer ist. Dies betrifft selbstverständlich in erster Linie seine Malerei und in zweiter Linie, seine Pilzgerichte. Um dies näher zu verstehen, muß man eine Fülle von Stunden mit Robert Schaberl im Atelier und in der Küche verbracht haben.


In seinen Zentralformen lenkt er den Blick, verführt den Betrachter gewissermaßen zum räumlichen Sehgenuß durch reine Farbe und führt ihn zugleich ihn einen ernsten Konflikt. Der Betrachter wird im Sog der Zentralform hilflos subtilen Variationen in Farbtonigkeit, Oberflächenstruktur und Lichtbündelung ausgeliefert. Gegenüberstellungen dieser gemalten Manifestationen verstärken noch die Suggestion. Erst nach längerer Bildbetrachtung eröffnen sich nach den Raum-Tempi auch die einzelnen Farb-Welten der unterschiedlichen Lasuren. Die Les- oder besser Seh-barkeit ist variabel. Gleitet der Blick bei der einen Zentralform von den äusseren Rändern kommend noch sanft rhythmisch zirkulierend, aber unaufhaltsam hin zur Mitte, entwickelt sich bei einem anderen Werk durch die Oberflächenstruktur ein unglaublicher Sog, der den Blick in unahnbare Tiefen mit sich reisst. Der Raum als Windkanal, die Farbe als Explosivgeschoß und die Zeit der Bildbetrachtung als Schlüssel zum Verständnis der gemalten Geschwindigkeit. Gerade die Berliner Luft führte in den letzten beiden Jahren zu einer Erweiterung und Vertiefung der Farbensprache.


Die Zentralformen von Robert Schaberl sind in ihrer Faszination existentielle Grunderfahrung und Bedrohung zugleich. Durchatmen und hinschauen oder abwenden heißt die Alternative; so scheint es. Der Raum ist eine Art leerer Aggregatzustand, der vom Betrachter durch den Prozeß einer aktiven Anschauung zu füllen ist. Um eine solche Malerei zu schaffen, muß sich der Künstler innerlich in das zu Schöpfende versetzen, d.h. der Künstler strebt eine Identität an, die in den Kern des Daseins zurückgreift, wo noch keine Entzweiung stattgefunden hat.


Diese Intensität im Schaffensprozeß ist mit der Freisetzung von Energien und Kräften zu vergleichen, wie sie auch beim Pilzesuchen vorkommen. Die sinnliche Erfahrung durch Sehen, Spüren, ja beinah Hören und Atmen der Farben und des Raumerlebnisses wird zum Schlüssel und Wegweiser. Der Schaffensprozeß im Atelier findet schließlich sein kongeniales Pendant im Wald. Auch hier bilden der Schaffende und das zu Erschaffende schließlich eine Einheit. Um dies anschaulich zu demonstrieren, sei an dieser Stelle ein Original Schaberl-Rezept für eingelegte Pilze wiedergegeben: Nach einem erfrischenden Herbstregen kommen wir mit einer Ausbeute an Steinpilzen, jungen Maronenröhrlingen, Trompetenpfifferlingen und Semmelstoppelpilzen zurück. Nach dem Säubern werden die Pilze in einem Sud aus Weißwein und Weinessig blanchiert. Pfeffer und Thymian werden dazu gegeben. Nach dem vollständigen Abtropfen der Pilze werden diese in Schraubverschlußgläser gegeben und in eine Mischung aus bestem Olivenöl, Salz, Pfeffer, Thymian, Salbei und Senfkörnern eingelegt. Kühl gelagert halten sich die Pilze eigentlich bis zu einem Jahr. Aber nur in seltenen Fällen kann dieser Verführung widerstanden werden.


Der angespannten Dynamik im Entstehungsprozeß der gemalten Werke steht die stoische Ruhe beim Suchen und Verarbeiten der Pilze gegenüber. Wie wir gesehen haben, entziehen sich die Farbräume Robert Schaberls jeder genauen Beschreibung und Vereinnahmung. Durch ihren Verzicht auf Gegenständlichkeit verunsichern Farbe und Raumerfahrung als bildkonstituierende Elemente den Betrachter.


Farbräume und Pilzträume sind nicht meßbar, der Connoisseur ist ihnen schutzlos ausgeliefert. Der eigene feste Standort muß zugunsten eines Seh- und Schmeck-Abenteuers aufgegeben werden. Derjenige, der sich mit Robert Schaberl auseinandersetzt, erhält die Möglichkeit zu erkennen, daß sich nicht nur der gemalte Raum stetig wandelt und neu erschafft, also ein vorübergehender Zustand mit unterschiedlichsten Qualitäten ist, sondern dies auch in besonderem Maße für die Pilzgerichte gilt. So ist Sehen und Schmecken immer Präsenz und verlangt nach einer wahrhaft persönlichen Hingabe.



©  Harald Krämer  2002